After 15 years - 1
Nakia schlug ihre Augen auf und sah in den Spiegel. Es war nun 16 Jahre her, dass sie sich das letzte mal im Spiegel angesehen hatte und sie fühlte sich nicht wohl dabei. Es hatte sich nichts verändert. Ihre langen welligen Haare waren immer noch so blond wie vorher und ihr Gesicht wurde immer noch von der Narbe geziert, die direkt unter ihrem rechten, hellblauen Auge verlief. Sie seufzte laut. Es wird sich wohl nie etwas ändern, nicht wahr Judah?, fragte sie und sah ihren Sohn an, der ihr heimlich dabei zusah. Er trat näher. Ach Mutter... Mach dir nicht so viele Gedanken darum. Es ist schließlich 16 Jahre her., sagte er. Nakia sah auf ihre Beine und ihr blick verfinsterte sich. Das mag sein... Aber mein Wunsch ist seitdem immer noch der selbe., sagte sie leise und drehte sich mit ihrem kompletten Körper um. Judah wendete seinen Blick von seiner Mutter ab. Du weißt doch, dass ich das nicht mag. Es ist schon schwer genug für mich..., sagte er und Nakia setzte den Satz mit einem vorwurfsvollen Tonfall fort. ... Dass deine Mutter ein, wie nennt man das doch Gleich... ist ja auch egal... Ich bin Querschnittsgelähmt, aber das bin ich jetzt nun mal. Sieh mich an. Ich bin immer noch deine Mutter, die dich über alles liebt. Sie sah ihrem Sohn streng in die Augen. Er drehte sich zu seiner Mutter und sah sie kurz an. Mutter... Ich kann mir nur nicht ansehen, wie du leidest. Es ist Tag für Tag das selbe. Vater hätte das nicht gewollt., sagte er. Ich habe deinem Vater bei unserer Hochzeit ewige treue auch nach dem Tode geschworen. Ich halte meine versprechen. Ich werde niemals eine Beziehung mit einem anderen Mann eingehen., antwortete Nakia ernst. Du hast jeden abgewiesen, der nur ein wenig mehr als Freundschaft wollte. Du bist immer noch eine wunderschöne Frau. Ich versteh dich nicht..., sagte Judah. Er meinte dies Todernst. Seine Mutter wandte sich von ihm ab. Judah... Du bist wirklich blind. Meine Schönheit habe ich vor 16 Jahren bei diesem Unfall... vielmehr dem Anschlag auf mein Leben verloren. Wenn du von Schönheit redest, rede von meiner Zwillingsschwester., sagte sie traurig und sah aus dem Fenster. Holst du mir bitte eines meiner Kleider? Das weiße bitte... Und dann verlass dieses Zimmer. Ich möchte nicht, dass du mich so siehst..., fügte sie leise hinzu. Judah ging Kopfschüttelnd zum Kleiderschrank und öffnete ihn. Mutter... für mich bist du immer die schönste Frau auf der Welt. Es gibt niemanden, der dich ersetzen könnte. Nicht einmal meine verlobte., sagte er und holte das Gewünschte Kleid hervor. Er ging zu seiner Mutter, die im Rollstuhl saß und reichte ihr das Kleid. Aber den Raum werde ich nicht verlassen., fügte er mit Bestimmtheit hinzu. Nakia seufzte und schloss die Vorhänge. Der Raum verdunkelte sich. Judah sah seiner Mutter in die traurigen Augen. Nun gut... dann bleibe... und sieh dir den Körper der Frau an, die dich geboren hat..., sagte sie und begann ihr Nachthemd auszuziehen. Judah beobachtete sie dabei. Es war das erste mal, dass er die nackte Haut seiner Mutter sah. Sie war am ganzen Körper vernarbt. Ist das etwa alles...?, fragte er und schluckte laut. Nakia sah ihrem Sohn in die Augen und nickte kurz. Ja. Das sind Narben von zahlreichen Operationen, die man an mir durchführte, als ich damals im Krankenhaus lag. Sie sind nie verblichen., sagte sie und fuhr fort. Nun war sie komplett unbekleidet. Starr mich nicht so an..., sagte sie und griff nach dem Kleid. Vorsichtig zog sie es sich an. Judah streckte die Hand aus, um ihr zu helfen, doch er merkte schnell, dass sie es nicht so wollte. Tu das nicht. Komm... ich sehe, dass du unglücklich bist. Lass gut sein., sagte sie und zog ihre Haare aus dem Kleid. Ich sagte dir doch, dass ich dies alleine machen möchte, doch du wolltest ja nicht auf deine Mutter hören. Judah öffnete die Vorhänge. Du bist viel zu verschlossen. Such dir einen neuen Mann. Du kannst nicht ewig alleine bleiben. Du gehst daran zu Grunde., ermahnte Judah seine Mutter.
In meiner Familie hält man sich an sein Eheversprechen., sagte Nakia ernst. Aber Vater ist tot. Erinnerst du dich nicht mehr an seine letzten Worte, die er dir sagte?, antwortete Judah. Natürlich erinnere ich mich. Sei nicht traurig, werde Glücklich und verlass dein eigenes Gefängnis, sagte er. Doch sein Wunsch wird sich nie erfüllen. Ich werde den Rollstuhl nicht von jetzt auf gleich verlassen können. Ich habe mich oft genug unter das Messer gelegt. Und was habe ich davon? Noch mehr Narben. Mein Körper ist übersät davon., sagte sie. Du spinnst, Mutter., sagte Judah. Du hast es doch bereits geschafft das Gefühl in deinen Beinen wiederzuerlangen. Ist das nicht schon ein Erfolg? Nakia lachte auf. Das nützt mir nicht viel., sagte sie. Judah sah seine Mutter wütend an. Ach... vergiss es., sagte er und verließ den Raum. Nakia sah ihm nach. Was nützt es, wenn ich weder über die Körperliche, noch Geistige Kraft verfüge...
Judah ging wütend ins Wohnzimmer und setzte sich auf das Sofa. Ich kenne dich anders. Du warst mal anders. Wird man so, wenn man die Hoffnung verliert? Er fasste einen Entschluss. Bevor ich heirate, bringe ich dich aus dem Rollstuhl, Mutter. Du wirst sehen. Er stand auf und ballte seine Fäuste. Er ging zum Bücherregal und sah sich die Einbände an. Kurz darauf nahm er ein altes Fotoalbum heraus und setzte sich wieder. Er schlug das Buch auf und betrachtete die Bilder. Damals waren wir alle Glücklich. Wäre doch bloß das alles nie passiert., sagte er leise zu sich. Er hörte ein ihm bekanntes Geräusch hinter sich und drehte sich um. Vor lauter Schreck knallte der das Fotoalbum zu und ein Bild fiel hinaus. Nakia beugte sich vor und hob das Bild mit mühen auf. Sie betrachtete es lange, legte es schließlich auf den Tisch und sah ihrem Sohn in die Augen. Bemühe dich nicht., sagte sie und rollte in die Küche. Judah legte das Album auf Seite und steckte das Bild ein. Es zeigte ihn mit seiner Mutter am Filmset. Sie lachten. Es war einer der schönsten Tage, die er miterleben durfte. Ein wenig später später gingen sie im Streit auseinander und als sie sich Jahre später wiedersahen, saß seine Mutter im Rollstuhl und Vater war tot... Überfahren. Judah sah zu Boden und folgte dann seiner Mutter. Du brauchst gewiss Hilfe., sagte er. Nakia sah ihrem Sohn in die Augen und sagte kein Wort. Dann öffnete sie den Kühlschrank und bemühte sich, an die Eier zu kommen. Judah beobachtete dies nur kurz und griff nach einem Ei. Er reichte es ihr. Nakia sah Judah an und sagte leise: Danke... Entschuldige wegen vorhin... ich war... Sie stockte mitten im Satz. Eine träne lief ihr über das Gesicht. Judah umarmte seine Mutter. Schon okay. Du hast den Mut verloren. Ich muss mich entschuldigen, dafür dass ich dich nicht verstehen wollte. Es ist hart., sagte er. Wolltest du Spiegeleier machen?. Nakia nickte. Ja. Die magst du doch so gerne., sagte sie und ließ sich von ihrem Sohn die Eier geben. Sie holte eine Pfanne hervor und erhitzte sie auf der Herdplatte. Sie schlug die Eier gekonnt auf und ließ sie in der Pfanne braten. Nach einer weile nahm Judah die Pfanne vom Herd und legte die Eier auf zwei Teller. Er nahm sie und stellte sie auf dem Küchentisch ab. Nakia holte das Besteck. Komm. Lass uns Frühstücken... Wie wir es damals immer taten. Ich freue mich doch, dass du wieder zu mir gezogen bist... Und schon streiten wir uns wieder..., sagte sie und Judah lachte. Ist es okay für dich, wenn ich am Wochenende Sarah einlade? Ich möchte sie dir gerne vorstellen., fragte er. Nakia nickte. Gerne. Ich möchte schließlich meine zukünftige Schwiegertochter kennenlernen., sagte sie. Sie aßen gemütlich bei Tisch. Als Nakia anschließend abräumte, beobachtete Judah sie. Er mochte ihre anmutigen Bewegungen schon immer. Sie schien ihren Stolz nie wirklich verloren zu haben. Er lächelte. Nakia sah dies. Was ist Judah?, fragte sie. Judah sah seiner Mutter in die Augen und sagte: Du bewegst dich immer noch so anmutig wie vor der ganzen Geschichte. So geschmeidig und stolz. Das mochte ich immer an dir, Mutter. Nakia lächelte. Danke., sagte sie. Judah stand auf und ging zu seiner Mutter. Er nahm sie an den Händen. Was hast du vor?, fragte Nakia erschrocken. Judah zog seine Mutter aus dem Rollstuhl zu sich. In Nakias Gesicht stand blankes entsetzen. Judah! Lass mich sofort wieder herunter!, rief sie. Ihre Beine gaben nach, doch Judah ließ nicht locker. Versuch es doch wenigstens. Bitte., sagte er und sah seiner Mutter in die vor entsetzen weit aufgerissenen Augen. Siehst du es nicht? Ich kann nicht., antwortete sie und versuchte sich mit der ganzen Kraft ihrer Arme aufrecht zu halten. Bitte. Lass mich wieder herunter!. Judah schüttelte den Kopf und rückte mit seinen Beinen die Beine seiner Mutter in eine normale Position. Nakias Herz raste, dass es zu zerspringen drohte. Nein. Bitte Judah., flehte sie. Erst, wenn du es wirklich versuchst., sagte Judah bestimmt. Nakia merkte, dass es ihr Sohn sehr ernst meinte, doch sie hatte Angst. Ich halte dich. Du wirst nicht fallen. Tu es für mich., sagte er. Nakia hielt die starken Arme ihres Sohnes fest umschlossen schloss ihre Augen und konzentrierte sich auf ihre Beine. Sie schaffte es, ihre Muskeln ein wenig anzuspannen, doch da versagten ihre Kräfte wieder. Sie öffnete die Augen und tränen liefen über ihr Gesicht. Es geht nicht. Mehr schaffe ich nicht. Quäle mich doch nicht noch mehr. Es ist genug., sagte sie und ließ die Arme ihres Sohnes los. Judah ließ immer noch nicht locker. Noch ein einziges mal. Erinnere dich an die guten Tage., sagte er. Komm. Du wirst es schaffen. Ich weiß es. Gib nur nicht wieder auf. Er sah Angst in den tränenerfüllten Augen seiner Mutter. Ein allerletztes mal..., flüsterte sie und konzentrierte sich erneut. Sie schaffte es mit ihrem ganzen Willen ihre Muskeln in Beinen ein weiteres mal anzuspannen. Da ließ Judah sie los. Nakia sah ihn erschrocken an. Ihre Beine zitterten und kurz darauf fiel sie. Siehst du, was du mir angetan hast?, rief sie. Lass mich sofort alleine!
Judah schüttelte den Kopf. Sieh doch, was du geschafft hast. Warte, ich helfe dir., sagte er und griff seiner Mutter unter die Arme. Sie wehrte sich nicht und so hob er sie wieder in den Rollstuhl. Nakia sah zu Boden. Verlange so etwas nie wieder von mir., sagte sie. Judah verschränkte die Arme. Doch, das werde ich. Ich werde dich zur Glücklichsten Frau auf der Welt machen. Dafür ist mir jedes mittel recht., sagte er. Nein Judah. Lass es, bitte. So machst du mich nur unglücklich., sagte sie. So werde ich mich dabei nur verletzen... Judah sah Nakia ernst an. Das nächste mal tun wir es im Wohnzimmer. Keine sorge. Ich werde auf dich aufpassen. Ich liebe dich doch., sagte er und wischte die restlichen Tränen seiner Mutter weg. Nakia sah in Judahs blaue Augen. Du bist störrisch wie dein Vater..., sagte sie. ...Mit der Schönheit meiner Mutter., fügte Judah lächelnd hinzu und schob seine Mutter ins Wohnzimmer. Nakia schüttelte nur ungläubig den Kopf. Du willst das ganze doch nicht jetzt schon wiederholen?, fragte sie. Judah lachte. Nein... Etwas anderes. Warte, ich helfe dir., sagte er und trug seine Mutter aus dem Rollstuhl. Was hast du jetzt vor? Ich kann nicht mehr. Das war viel zu anstrengend., sagte sie. Judah legte seine Mutter auf dem Teppichboden ab. Nakia sah ihrem Sohn dabei zu, wie er ihre Beine nahm und sie aufstellte. Versuche sie einfach so zu halten. Nicht mehr und nicht weniger. Sag mir Bescheid, wenn du bereit bist., sagte er. Nakia starrte die Decke an. Du überschätzt meine Kräfte... dennoch vertraue ich dir. Ich versuche mein bestes..., sagte sie und schloss die Augen. Hmm... Jetzt...., sagte sie und konzentrierte sich. Es verlangte ihr viel Kraft ab. Es klappt. Mutter!... Lass bitte kurz locker., sagte er und legte die Beine seiner Mutter flach auf dem Boden. Jetzt versuche es erneut. Ziehe mit aller Kraft. Nakia bemühte sich. Nach einer weile rief Judah erstaunt: Mutter! Das müsstest du gerade sehen... Nakia öffnete die Augen. Sie hatte es geschafft, ihre Beine anzuziehen und zu halten. Wie habe ich das gemacht?, fragte sie ungläubig. Vermutlich lag es daran, dass du dein Gewicht nicht tragen musstest., sagte er nachdenklich und umarmte seine Mutter. Du bist großartig. Ich wusste, du schaffst das...
Nein. Du bist unglaublich, Judah., sagte Nakia. Wie kamst du darauf, dass ich es schaffen würde?. Judah lächelte. Ich hatte mich letzte Nacht verirrt, als ich auf die Toilette wollte und bin in deinem Schlafzimmer gelandet. Da hattest du es gerade im Schlaf getan., sagte er lachend. Du hast...?, rief Nakia und Judah nickte. Ich wollte lediglich sehen, ob du es auch im wachen zustand schaffst. Aber das ist doch eine Grundlage., sagte er. Meinst du immer noch, du solltest es lassen, es zu versuchen?. Nakia überlegte. Es ist vielleicht einen versuch wert... Aber ich tue es nur, weil du mich darum so bittest., sagte sie und gab ihrem Sohn einen Kuss. Sie richtete ihren Oberkörper auf und sagte: Hilfst du mir eben, bitte?. Judah lächelte. Nur weil du es bist., sagte er und legte den linken Arm unter ihre Kniekehlen, den anderen unter Nakias rücken. So hob er sie hoch. Du bist wirklich stark, Judah., sagte Nakia und ließ sich von Judah in den Rollstuhl setzen. Aber für heute reicht es wirklich. Ich kann nicht mehr... Sie seufzte laut. Und das Badezimmer ist hinten im Flur rechts. Nur für den Fall..., sagte sie und Judah lachte: Ich werde es mir merken... Spielst du immer noch den Flügel? Nakia hielt einen Moment inne und antwortete: Ja... Aber ich bin nicht mehr so gut. Judah nickte. Ich würde dich nur zu gerne spielen hören. Dieses eine Lieb, was du an unserem letzten Abend gespielt hattest, bevor wir diesen einen streit hatten? Nakia sah Judah an. Ich weiß, welches du meinst... Nun... ich kann es versuchen., sagte sie und rollte in Richtung Musikzimmer. Das Haus ist wirklich groß..., sagte Judah und öffnete die Türe. Als er die Instrumente sah, wurde ihm mulmig, denn alle bis auf den Flügel waren verstaubt. Auch die Violine, auf der sein Vater immer gespielt hatte. Er ging in den Raum und nahm sie nachdenklich und staubte sie ab. Nakia beobachtete dies. Ich war längere Zeit nicht mehr hier., sagte sie und rollte langsam zum Flügel. Sie öffnete ihn und setzte sich an die Tasten. Judah beobachtete, wie seine Mutter diese Handlungen andächtig wie ein Ritual ausführte. Er hängte die Violine an die dafür vorhergesehene Halterung an der Wand und entdeckte die Harfe. Harfe habe ich seit beinahe 20 Jahren nicht mehr gespielt..., sagte Nakia und sah Judah an. Dieser griff nun zu dem kleinen Kasten, der auf der Fensterbank lag. Ist sie noch drinnen?, fragte er und seine Mutter nickte. Ich habe sie all die Jahre nicht angerührt. Ich weiß doch, dass sie dir viel bedeutet., sagte sie. Judah öffnete den Kasten und zum Vorschein kam eine glänzende Querflöte. Er nahm sie und setzte sie an seinem Mund an. Vorsichtig blies er hinein und spielte ein paar Töne. Sie klingt wie damals., sagte er. Nakia nickte und begann konzentriert zu spielen. Sie wiegte sich beim spielen hin und her, und spürte, wie die Musik ihren Körper durchdrang. Judah beobachtete dies andächtig. Immer noch genau so schön wie damals. Sie lächelt... Er setzte die Querflöte erneut an und begann, das selbe Lied zu spielen. Nakia verlor sich währenddessen in der Musik. Sie fühlte sich, als würde sie schweben und spielte immer intensiver. Judah unterbrach sein Spiel, als er sah, wie seine Mutter immer wilder spielte. Wie damals... Oh nein. Sie übertreibt wieder., sagte er leise und ging schnellen Schrittes zu seiner Mutter. Nakia bemerkte dies nicht. Sie schloss die Augen und spielte immer schneller und wilder. Judah erinnerte sich daran, wie sein Vater sie dabei beruhigte und legte seine warme Hand auf die Schulter seiner Mutter. Dies zeigte schnell seine Wirkung.
Nein. Du bist unglaublich, Judah., sagte Nakia. Wie kamst du darauf, dass ich es schaffen würde?. Judah lächelte. Ich hatte mich letzte Nacht verirrt, als ich auf die Toilette wollte und bin in deinem Schlafzimmer gelandet. Da hattest du es gerade im Schlaf getan., sagte er lachend. Du hast...?, rief Nakia und Judah nickte. Ich wollte lediglich sehen, ob du es auch im wachen zustand schaffst. Aber das ist doch eine Grundlage., sagte er. Meinst du immer noch, du solltest es lassen, es zu versuchen?. Nakia überlegte. Es ist vielleicht einen versuch wert... Aber ich tue es nur, weil du mich darum so bittest., sagte sie und gab ihrem Sohn einen Kuss. Sie richtete ihren Oberkörper auf und sagte: Hilfst du mir eben, bitte?. Judah lächelte. Nur weil du es bist., sagte er und legte den linken Arm unter ihre Kniekehlen, den anderen unter Nakias rücken. So hob er sie hoch. Du bist wirklich stark, Judah., sagte Nakia und ließ sich von Judah in den Rollstuhl setzen. Aber für heute reicht es wirklich. Ich kann nicht mehr... Sie seufzte laut. Und das Badezimmer ist hinten im Flur rechts. Nur für den Fall..., sagte sie und Judah lachte: Ich werde es mir merken... Spielst du immer noch den Flügel? Nakia hielt einen Moment inne und antwortete: Ja... Aber ich bin nicht mehr so gut. Judah nickte. Ich würde dich nur zu gerne spielen hören. Dieses eine Lieb, was du an unserem letzten Abend gespielt hattest, bevor wir diesen einen streit hatten? Nakia sah Judah an. Ich weiß, welches du meinst... Nun... ich kann es versuchen., sagte sie und rollte in Richtung Musikzimmer. Das Haus ist wirklich groß..., sagte Judah und öffnete die Türe. Als er die Instrumente sah, wurde ihm mulmig, denn alle bis auf den Flügel waren verstaubt. Auch die Violine, auf der sein Vater immer gespielt hatte. Er ging in den Raum und nahm sie nachdenklich und staubte sie ab. Nakia beobachtete dies. Ich war längere Zeit nicht mehr hier., sagte sie und rollte langsam zum Flügel. Sie öffnete ihn und setzte sich an die Tasten. Judah beobachtete, wie seine Mutter diese Handlungen andächtig wie ein Ritual ausführte. Er hängte die Violine an die dafür vorhergesehene Halterung an der Wand und entdeckte die Harfe. Harfe habe ich seit beinahe 20 Jahren nicht mehr gespielt..., sagte Nakia und sah Judah an. Dieser griff nun zu dem kleinen Kasten, der auf der Fensterbank lag. Ist sie noch drinnen?, fragte er und seine Mutter nickte. Ich habe sie all die Jahre nicht angerührt. Ich weiß doch, dass sie dir viel bedeutet., sagte sie. Judah öffnete den Kasten und zum Vorschein kam eine glänzende Querflöte. Er nahm sie und setzte sie an seinem Mund an. Vorsichtig blies er hinein und spielte ein paar Töne. Sie klingt wie damals., sagte er. Nakia nickte und begann konzentriert zu spielen. Sie wiegte sich beim spielen hin und her, und spürte, wie die Musik ihren Körper durchdrang. Judah beobachtete dies andächtig. Immer noch genau so schön wie damals. Sie lächelt... Er setzte die Querflöte erneut an und begann, das selbe Lied zu spielen. Nakia verlor sich währenddessen in der Musik. Sie fühlte sich, als würde sie schweben und spielte immer intensiver. Judah unterbrach sein Spiel, als er sah, wie seine Mutter immer wilder spielte. Wie damals... Oh nein. Sie übertreibt wieder., sagte er leise und ging schnellen Schrittes zu seiner Mutter. Nakia bemerkte dies nicht. Sie schloss die Augen und spielte immer schneller und wilder. Judah erinnerte sich daran, wie sein Vater sie dabei beruhigte und legte seine warme Hand auf die Schulter seiner Mutter. Dies zeigte schnell seine Wirkung.
Nakia öffnete die Augen und spielte wieder ruhiger. Sie spielte die letzten Noten und sah zu Judah. Du warst wieder so wild., sagte er lachend. Du wärst mir beinahe umgekippt. Sie lächelte. Ach. Mach dir keine Gedanken., lachte sie. Versuch lieber die Harfe. Darin verlierst du dich nicht so., sagte er. Nakia lächelte. Versuchst du auszutesten, wie gut ich die Instrumente noch spielen kann?, fragte sie und rollte zur Harfe. Mal sehen... Wie war das noch mal..., überlegte sie. Judah stellte sich neben sie und legte einen Finger an die Saite. Er begann ein einfaches kleines Lied zu spielen. Nakia lächelte und stimmte mit ein. Da klingelte es an der Türe. Ich gehe., sagte Judah und ging zur Haustüre. Nakia folgte ihm.
Als Judah die Türe öffnete stand ein Mann mittleren Alters vor ihm. Er hielt einen Strauß rote Rosen in der Hand. Ich hörte Musik. Ist Nakia da? Oder ist dein Vater zuhause?, fragte er. Judah sah den Mann fragend an. Meine Mutter lebt seit Ewigkeiten nur in den Schulferien hier., sagte er. Da kam Nakia an die Türe. Ach Hubert... Denk nicht einmal daran., sagte sie und das lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. Bitte geh... Judah sah seine Mutter und Hubert abwechselnd an. Aber wieso? Ich liebe dich., sagte Hubert. Nakia schüttelte den Kopf. Du liebst mein Geld und meinen Status als Prominente. Ich muss dich enttäuschen. Ich bin seit Jahren Stellvertretende Direktorin einer Privatschule. Du hast viel verpasst, als du im Ausland warst., sagte sie ernst. Nakia... Was tust du eigentlich in einem Rollstuhl? Woher hast du diese Narbe? Stellvertretende Schulleiterin? Kann mir das mal einer erklären? Judah sah Hubert an und sagte: Mutter entkam vor 16 Jahren zwei mal dem Tod. Vater wurde überfahren. Seitdem gibt sie an einer Schule Unterricht. Sie ist keine Schauspielerin mehr... Nakia sah zu Boden. Was ist passiert?, fragte Hubert besorgt. Auf mich wurden zwei Anschläge ausgeführt. Mehr brauchst du nicht zu wissen. Ich bin an keiner Beziehung interessiert Hubert., sagte sie ernst. Hubert schüttelte den Kopf. Unmöglich... Wer könnte auf dich einen Anschlag verübt haben., fragte er ungläubig. Nakia sah Hubert in die Augen und sagte: Ich habe meinen Peiniger vor Jahren gestellt. Das alles war ein Racheakt für etwas, was ich nie getan habe. Wer ist war, werde ich dir nicht verraten. Ich weiß du würdest ihm schaden. Er ist auch nur ein Mensch. Hubert nickte. Wie du wünschst, Geliebte., sagte er. Judah verlor die Geduld und sagte: Nenn meine Mutter nicht 'Geliebte'! Sie will nichts von dir. Nakia legte ihre Hand auf Judahs Rücken. Beruhige dich., sagte sie ruhig und fügte hinzu: Aber ich möchte auch nicht als 'Geliebte' bezeichnet werden. Bitte.... Hubert gab Nakia die Blumen. Das alles mit dir tut mir schrecklich leid., sagte er. Nakia schüttelte den Kopf. Das letzte was ich will ist Mitleid. Ein bisschen Vorsicht reicht mir., sagte sie leise. Hubert nickte und sagte: Wenn du etwas brauchst, sag es mir... Dann ging er langsam. Ein letztes mal sah er sich um und sah seiner Angebeteten in die Augen, in denen er nur noch Trauer sah. Judah verschloss die Türe. Ich kann ihn nicht leiden., sagte er. Nakia lächelte und umarmte ihn. Hubert ist ein netter Kerl, aber ich möchte einfach keine Beziehung mit ihm., sagte sie.
Mittlerweile war es schon Nachmittags. Nakia und Judah spielten 'Dame' im Wohnzimmer. Hahahaha. Ich habe gewonnen., sagte Nakia lachend. Du hast keine Geduld!. Judah sah vom Spielbrett auf und seiner Mutter in die Augen. Da hast du recht., sagte er. Aber nur, was das Spiel betrifft!. Nakia lächelte und fragte: Hast du Hunger? Ich möchte gleich ins Bett. Das 'Training' war sehr anstrengend. Judah überlegte und nickte. Was gibt es denn?, fragte er. Spaghetti a la Mama., antwortete Nakia und verschwand in der Küche. Aus Vorsicht ging Judah hinter seiner Mutter her. Es geht schon. Hier. Es ist alles schon vorbereitet., sagte Nakia und öffnete den Kühlschrank. Sie kochte die Nudeln und erhitzte die Sauce. Dann servierte sie das Essen und rollte an den Tisch. Judah setzte sich. Sie aßen zusammen. Aber dieses mal räumst du ab!, sagte Nakia lachend. Judah lächelte und antwortete: Natürlich Mutter. Was macht eigentlich die Migräne?. Nakia deutete auf eine Schachtel Tabletten, die sie von der Ärztin in der schule verschrieben bekam. Sie wirken gut. Seit ich die nehme geht es schon besser., sagte sie und Judah lachte. Das Zeug davor war ja ein Reinfall., sagte er grinsend. Nakia lachte und antwortete: Da ist garantiert kein Neurotoxin drin. Keine sorge...
Hmm... Bekomme ich von der Sauce mal dein Rezept?, fragte Judah, doch Nakia schüttelte den Kopf. Nur an meinem Sterbebett. Vorher nicht. Es ist ein Geheimrezept., sagte sie.
Hmm... Bekomme ich von der Sauce mal dein Rezept?, fragte Judah, doch Nakia schüttelte den Kopf. Nur an meinem Sterbebett. Vorher nicht. Es ist ein Geheimrezept., sagte sie.
Judah räumte den Tisch ab und Nakia machte sich auf dem Weg in ihr Schlafzimmer. Als Judah fertig war, folgte er seiner Mutter. Brauchst du Hilfe?, fragte er. Nakia hielt kurz inne und sah ihren Sohn an. Dann sagte sie: Das wäre lieb... Ich habe ja nichts mehr zu verbergen... Judah nickte und zog wie seine Mutter es am Morgen getan hatte die Vorhänge zu und schaltete das Licht ein. Behutsam entkleidete er seine Mutter. Eine alte Narbe am Oberschenkel schien aufgerissen zu sein und blutete ein wenig, doch es wurde nach und nach schlimmer. Er nahm das Kleid, was seine Mutter am Tag getragen hatte und sah es sich eilig an. Was ist los?, fragte Nakia und wollte sich gerade zurücklehnen. Warte!, rief Judah. Auf dem Kleid fand er Glücklicherweise keine Blutspuren. Er sah seiner Mutter in die Augen und sagte: Lehne dich bitte nicht zurück. Bleib, wie du gerade bist... Dann ging er schnell ins Badezimmer. Ich verstehe nicht..., sagte Nakia leise. Judah holte den Verbandskasten und ging zurück. Als seine Mutter seinen Sohn mit den Verbänden sah, fragte sie ihn: Was willst du damit? Was ist denn los?. Judah legte einen Finger kurz auf die Wunde und zeigte seiner Mutter den blutigen Finger. Aua! Das tut weh..., rief Nakia und sah dann die Wunde an ihrem Oberschenkel. Wenn du nur dein Bein anheben könntest..., sagte Judah nachdenklich und seine Mutter seufzte. Ich kann es versuchen, aber für nichts Garantieren..., sagte sie. Und selbst wenn, werde ich es wohl kaum lange oben halten können. Judah lächelte, schüttelte den Kopf und sagte: Nein. Es geht schon. Ich werde es irgendwie anheben und gleichzeitig verbinden... Er nahm einen Verband hervor und packte ihn aus. Als er gerade das Bein anheben wollte, erhob es sich wie von selbst. Er sah Nakia ins Gesicht. Sie strengte sich sehr an. Mach schnell., sagte sie und Judah beeilte sich. Schnell wickelte er den Verband um die verwundete Stelle und befestigte ihn. Erleichtert ließ sie ihr Bein sinken. Werde ich es überleben Dr. Babylonia?, witzelte sie und Judah lachte. Natürlich, werte Frau Babylonia., sagte er grinsend. Es ist halb so wild... Er reichte ihr das Nachthemd und half ihr beim anziehen. Nakia umarmte ihren Sohn und sagte: Gute Nacht... Judah... Judah lächelte, machte das Licht aus und verließ das Schlafzimmer. Nakia rollte zum Bett und stemmte sich aus dem Rollstuhl. Dann ließ sie sich auf dem Bett nieder. Sie rückte nach oben und hob ihre Beine mit den Armen an, um sie auf das Bett zu legen. Danach deckte sie sich zu und schloss die Augen.
Judah wartete noch einen Moment an der Türe. Das sah sehr schmerzhaft aus... Ich habe ihr vielleicht zu viel zugemutet. Er brachte den Verbandskasten ins Badezimmer zurück und machte überall die Vorhänge zu. Dann löschte er die Lichter und ging auch ins Bett.